Mit seiner Abinote von 1,1 gehört Jan Maruna in seinem Jahrgang fast schon zum Mittelfeld. „Wir hatten fünf Leute mit 1,0“, sagt der 17-Jährige aus dem Karls-Gymnasium (KG) . Sein Jahrgang ist der erste des Hochbegabtenzugs, der jetzt Abi gemacht hat. Dass ihn seine Eltern auf dem Hochbegabtenzug angemeldet hatten, habe er als Fünftklässler erst gar nicht mitbekommen. Ihn hatten die alten Sprachen interessiert und die Versuche im Fach Mensch und Natur, erzählt der Abiturient. „Ich weiß auch meinen IQ nicht. Und es interessiert mich auch nicht – letztendlich ist es nur eine Zahl, die sagt über die Person selber wenig aus, und ebenso wenig über die Art der Begabung“, meint der 17-Jährige heute.
Er sei vor allem froh darüber gewesen, dass die Zeit der Langeweile, unter der er in der Grundschule gelitten habe, endlich vorbei gewesen sei. In der Grundschule in Echterdingen habe er sich immer „anders gefühlt“, sei immer früher mit den Aufgaben fertig gewesen als die anderen. Zum Glück habe er dort einen Schicksalsgenossen gehabt und zusätzliche Anregungen in den Kursen der Kinder- und Jugendakademie bekommen.
„Im Karls-Gymnasium waren wir zum ersten Mal mit Leuten zusammen, die’s schnell begriffen haben. Dort musste man nicht lange Pausen machen, um zu üben und den Stoff zu besprechen, sondern konnte gleich weitere Themen angehen“, berichtet Jan Maruna. Dass am KG im Hochbegabtenzug nicht der Unterricht länger dauert, sondern mehr Stoff in derselben Zeit durchgenommen wird, war für ihn genau das Richtige. Auch dass er dort in der Unterstufe eine Wasserpumpe aus dem alten Ägypten nachbauen durfte, dass also neben der Theorie auch praktisch gearbeitet wurde, habe ihm gut gefallen.
Hat es sich also bewährt, Hochbegabte von normal begabten Gymnasiasten zu trennen und somit ein genau gegenläufiges Konzept zur Gemeinschaftsschule zu verfolgen? „Für mich fand ich das gut“, sagt Jan Maruna. Doch auch mit den Schulkameraden aus dem Regelzug habe seine Klasse viel und guten Kontakt gehabt, etwa beim Wander- und Skischullandheim, bei der gemeinsamen Studienfahrt nach Rom und in den AGs. In Sport, Religion und bei der dritten Fremdsprache habe es ohnehin keine Trennung gegeben.
Auch Kerstin Geyer, die am KG den Begabtenzug betreut, stellt fest, dass sich die Förderung hochbegabter Kinder in einer passgenauen Klasse positiv auswirke. Diese Kinder seien oft quirliger. Aber manche von ihnen hätten in Klassenstufe fünf und sechs Probleme, ihr Lernen zu organisieren: „Die haben noch nie auf Klassenarbeiten gelernt.“ Jan findet es „gut, dass man gelernt hat, sich in eine Klasse zu integrieren, wo jeder so gut ist wie man selber.“
Unterschiede habe es trotzdem gegeben: „Bei uns war ein Siebenjähriger, der hat alle vier Grundschulklassen in einem Jahr gemacht“, erinnert sich Jan. „Er hat langsamer geschrieben als wir.“ Dass dieser Mitschüler nicht mehr dabei sei, liege wie auch bei anderen Kameraden nicht am Lerntempo. Für manche Kinder sei der Schulweg einfach zu lang gewesen und sie seien auf das Hochbegabteninternat nach Schwäbisch Gmünd gewechselt, berichtet Geyer. „Wiederholer gibt’s ganz selten.“
Begabte Kinder seien auch in anderer Hinsicht speziell, berichtet Kerstin Geyer: „Sie sehen nicht ein, wieso Stoff wiederholt wird.“ Jan ergänzt: „Zum Vokabellernen fehlt einem Zehnjährigen die Einsicht – ich hab immer lieber Grammatik gemacht.“ Schulleiter Dieter Elsässer hebt hervor, eine solche Schülerschar erfordere ein hohes Engagement der Lehrer – und viel Geduld. Auch die regelmäßigen Feedbacks seitens der Schüler hätten sich bewährt, berichtet Geyer. Jan formuliert das etwas anders: „Wir hatten immer viel Spaß an ausgiebigen Diskussionsrunden. Und – rückblickend kann man sagen: Es war nicht alles falsch.“ Ein echtes Kompliment.
Auch im KG hat man am Urkonzept nur Details nach- justiert. Etwa beim Auswahlverfahren: statt wie früher ein gemeinsames Gespräch mit Kind und Eltern zu führen, führe man diese Gespräche jetzt getrennt. Außerdem biete man den Bewerbern Schnupperunterricht an. „Damit wir die Kinder als Gruppe erleben“, sagt Geyer – „die müssen als Klasse funktionieren“. Und: es gebe zwei bis drei Einzelgespräche mit den Schülern pro Schuljahr. „Dann hat man einen anderen Blick auf den Schüler“, argumentiert Geyer. „Wir versuchen, das auch im Regelzug zu machen.“
Und Jan? Der würde gern am KIT in Karlsruhe mit dem zulassungsbeschränkten Bioingenieurwesen starten, zur Not steige er auch auf das unbeschränkte Chemieingenieurwesen um. Den Kontakt zur Uni habe ihm sein Vater vermittelt. „Ich hab mir schon ne Wohnung in Karlsruhe besorgt, ein Einzimmer-Appartement – übers Internet.“ WG wäre für ihn nicht in Frage gekommen – „lieber allein“, sagt Jan. Die Eltern mussten als Bürgen auftreten. „Ich reg mich jetzt schon auf, dass ich noch nicht 18 bin.“ Nicht nur wegen des Mietvertrags. „Ich brauch fürs Studium ein sechswöchiges Vorpraktikum.“ Doch dazu müsste er volljährig sein. Zum Glück könne man das Praktikum auch später einschieben. Er ist nicht der einzige aus dem KG, der sich von der Nicht-Volljährigkeit ausgebremst fühlt. Für Tempokinder kaum auszuhalten.
Inge Jacobs, Stuttgarter Zeitung vom 28. Juli 2014
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